Gebrauchsanweisung für die "Milonga con Cortina"
von Christiane Solf
Die Cortina ist eine argentinische Erfindung. Sie bedeutet "Vorhang" oder "Zwischenmusik" und ist fester Bestandteil jeder Milonga (Tango-Tanzveranstaltung).
Die Cortina erklingt nach jeweils 3-4 gleichartigen Musikstücken (Tanda) und ist das Signal für Tanzpause und Partnerwechsel.
Trotz des Gütesiegels "echt argentinisches Kulturgut" ist die Cortina bisher in den mitteleuropäischen Salons nicht recht heimisch geworden. Nein, wir fragen jetzt nicht tiefgründig "Warum?", sondern
"Warum eigentlich nicht mal ausprobieren?"
Damit alle Gäste einen gelungenen Abend erleben gibt es ein paar einfache Regeln:
Spielregel 1: Cortina heißt Stop und Partnerwechsel
Auch wer beim Erklingen der Cortina sofort den Beweis antreten möchte daß man auf jede, aber wirklich jede Musik hervorragend Tango tanzen kann - bitte die Zähne zusammenbeißen und beim Erklingen der Zwischenmusik sofort das Tanzen einstellen.
Die Herren verwenden ihre kreative Energie lieber dazu, der Tanzpartnerin ein paar Komplimente zu machen. Die Palette reicht von einem schlichten "Vielen Dank" bis zu blumigen Aussagen wie: "Oh du mein Augenstern- könntest in kühnsten Träumen die Mutter meiner Kinder sein."
Die meisten Äußerungen dieser Art fallen in die Abteilung Süßholz, sind aber trotzdem irgendwie nett.
Der Herr begleitet die Dame dann an ihren Tisch zurück, und baut ihren eventuell anwesenden Tischherrn, Ehemann oder Begleiter mit dem Standardsatz "Sie müssen ein großartiger Tänzer sein" wieder auf.
Wichtig: Nur eine Tanda mit der gleichen Partnerin tanzen. Eine direkte Verlängerung wird als ein- oder zweideutige Absicht interpretiert.
Umgekehrt ist es grob unhöflich das Parkett vor dem Ende der Tanda zu verlassen. Aber es ist erlaubt, erst zum 3. oder 4. Stück der Tanda aufzufordern. :-)
Spielregel 2: Das Auffordern
Die Cortina ist auch das Signal für eine neue Runde. Die Karten werden neu gemischt, die Tanzfläche ist leer, jeder hat den Überblick und kann die Blicke schweifen lassen
Um sich und anderen Peinlichkeiten und lange Wanderungen über die Tanzfläche zu ersparen wurde in Argentinien die Aufforderung per Blickkontakt erfunden.
Ein kurzer Blick heißt gar nichts. Kann Zufall sein, irgendwohin muß man ja schauen.
Erst ein langer Blick, vielleicht noch in Verbindung mit einem Lächeln oder einem Kopfnicken heißt "Ja" und die beide Partner treffen sich auf der Tanzfläche.
"Und jetzt bitte nicht gleich durchstarten sondern locker bleiben und zumindest ein paar Takte lang Konversation machen", -rät der Tango-Knigge.
In den goldenen Vierziger Jahren gab es noch ganz andere Auflagen, die wir euch heute aber ersparen möchten. Um Fingerabdrücke auf dem Kleide der Dame zu vermeiden legte z.B. der Herr immer ein Tüchlein unter seine rechte Hand.
Noch ein Tip für die Herren: Sollte sich die Wunschpartnerin gerade außerhalb des Blickfeldes befinden ist es keine gute Idee, sie von hinten mit einer Aufforderung zu überrumpeln.
Könnte sein, daß man sich mit solchen Aktionen lediglich einen geflochtenen, ökologisch korrekten Einkaufsbehälter einhandelt.
Besser: Sich von der Seite in ihr Blickfeld pirschen und einen tiefen, fragenden Blick riskieren.
Erwidert sie diesen Blick: Wunderbar!
Tut sie es nicht: Ihr wolltet euch doch sowieso gerade ein Bier holen, oder?
Wenn man nicht zum "Hosenbügler des Abends" werden möchte ist es ebenfalls ungünstig, in Erwartung heißer Blicke und bevorstehender Tanzfreuden unruhig auf dem Stuhl herum zu rutschen.
Das Gleiche gilt für Tangueras in Warteposition.
Lieber lässig ein paar Runden drehen. Das baut Streß ab, weckt eingeschlafene Füße, erweitert den Aktionsradius und ist für ist für Kurzsichtige, die aus lauter Eitelkeit keine Brille tragen oder das Ding beim letzten Tango irgendwo verlegt haben oft die einzige Möglichkeit Mißverständnisse und unangenehme Überraschungen (Dreieckskonstellationen) zu vermeiden.
Achtung bei Dreieckskonstellationen: Wenn zwei Herren gleichzeitig dieselbe Dame ansteuern gilt immer: Wer hinten steht gibt nach.
Sollten sich zwei Damen gleichzeitig von dem selben Herrn aufgefordert fühlen, so muß sich ebenfalls die hinten stehende Dame wieder setzen. Pech gehabt.
Spielregel 3: Die Tanda
Die Tanda ist außer der Cortina das einzig Zuverlässige im Tango, weil sie wirklich hält, was sie in den ersten Takten verspricht.
Beginnt die Tanda mit einem ruhigen, romantischen Tango muß niemand fürchten, im nächsten Stücken von einer rasenden Milonga oder einem wuchtigen Pugliese-Brecher überrollt zu werden.
Umgekehrt: Wem schon das erste Stück der Tanda nicht zusagt kann sich die nächsten 10 Minuten ganz entspannt zurücklehnen, plaudern, das Hemd wechseln oder die Gelegenheit nutzen und den DJ mit Musikwünschen erfreuen.
Viel Vergnügen!
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